Der erste Eindruck: Der ist dick, Mann!
Das sagt der Hersteller: Über fünf Meter lang. Zwei Meter breit. Mehr als zwei Tonnen schwer. Sechs Zylinder. Der Ford Explorer, Marktführer bei SUV in den USA, hat mit Umweltschutz scheinbar nichts zu tun. Wie kann das sein bei einem Autoneuling im Europa des Jahres 2020, da die Hersteller erstmals halbwegs strenge CO2-Grenzwerte einhalten müssen?
Tatsächlich ist genau dieses 95-Gramm-Ziel der Grund dafür, dass Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann den Wagen nun als US-Import bekommt. Kaum zu glauben: Weil es den Stahlgiganten hierzulande allein als Plug-in-Hybrid gibt, dämpft er Fords CO2-Bilanz und kompensiert so manchen Mustang mit V8-Motor.
Für ein "noch dynamischeres Fahrerlebnis" sorge der Hybridantrieb, preist Ford das Auto offiziell. Viel schöner aus Sicht der Manager aber ist: Die Gesetze begünstigen Teilzeitstromer wie den Explorer bei der Ermittlung des Normverbrauchs, sie bekommen die elektrische Reichweite angerechnet. Egal ob und wie oft Fahrer im Alltag den Akku laden - für die Statistik zählt nur der Sprit, der rechnerisch auf den ersten 100 Kilometern benötigt wird, nachdem die Batterie leer gefahren ist. Dabei zeigt die Erfahrung, dass längst nicht alle Plug-in-Fahrer ihr Auto regelmäßig einstöpseln. Dies zu erfassen, wird zwar hin und wieder gefordert, doch eine verbindliche Regel ist nicht in Sicht. Grünenpolitiker Cem Özdemir geißelt solche Autos daher als "staatlich subventionierten Klimabetrug". Das Datenblatt des Explorer stützt den Vorwurf: Den offiziellen Verbrauch von 2,9 Liter und den CO2-Ausstoß von 66 g/km darf man getrost als Fabelwerte ansehen. Selbst die ersten 100 Kilometer mit komplett geladenem Akku sind so nicht zu schaffen, von Strecken mit leerer Batterie ganz zu schweigen. Separate Verbrauchswerte in Elektro- und Verbrennermodus weist Ford gar nicht erst aus. In den Genuss eines Elektroauto-Steuervorteils und der Kaufprämie kommen Kunden dennoch.
Das ist uns aufgefallen: Volvo oder Tesla? Wer in den Explorer steigt, fühlt sich an eine dieser Premiummarken erinnert, wegen des aufrecht stehenden Bildschirms in der Mittelkonsole. Tatsächlich ist der Explorer mit seinem Plug-in-Hybrid etwas fortschrittlicher als die anderen Geländewagen in der Ford-Flotte.
Doch was den Innenraum angeht, kann er den Vergleich mit Audi, BMW oder Mercedes nicht bestehen; dort sind die Materialien feiner und liebevoller verarbeitet. Dass die Kölner ihn trotzdem in einer Liga mit Autos wie dem Q7, dem X5 oder dem GLE sehen, liegt daran, dass er ebenfalls sieben Sitze hat. Das ist bei SUVs eher selten. Im VW Tiguan Allspace oder im Nissan X-Trail gibt’s für die dritte Reihe nur Notsitze, Opel hat gar nichts in dieser Größe und bei SUVs von Kia oder Hyundai sucht man die dritte Sitzreihe auch vergebens.
Wobei Familienurlaub-Reiseleiter nicht zu viel erwarten sollten: Ja, die Sessel in der zweiten Reihe gleiten weit vor, nach hinten kommen so auch Erwachsene ganz gut rein. Doch lange Strecken sind dort kein Vergnügen. Aber der Explorer bietet auch reichlich Stauraum. Bei voller Bestuhlung passen noch 240 Liter in den Kofferraum, bis zur zweiten Reihe sind es 635. Wenn man alles flachlegt, wird das SUV mit maximal 2274 Litern zum Nutzfahrzeug - und da sind die 123 Liter aus den vielen Ablagen noch nicht mitgerechnet, genauso wenig wie das Dutzend Becherhalter.
Wie die Zahl der Plätze ist auch die PS-Angabe etwas irreführend: 457 PS und vor allem 825 Nm – auf dem Papier kann es dieses SUV mit manchem Sportwagen aufnehmen. Und tatsächlich legt der Koloss beim Kickdown einen imposanten Spurt hin. Doch beim normalen Fahren gibt sich der Explorer als sanfter Riese.
Das muss man wissen: In den USA ist der Explorer ein Bestseller, der seit Jahrzehnten das SUV-Segment dominiert. In Deutschland gab es ihn in den vergangenen 20 Jahren nur über freie Importeure zu kaufen. Jetzt, wo Ford seine Palette zunehmend vereinheitlicht, kommen die ersten Explorer zu Preisen ab 76.000 Euro zu den offiziellen Ford-Händlern.
Die Ingenieure spannen einen V6-Benziner mit 3,0 Litern Hubraum und 363 PS mit einem 75 kW starken E-Motor zusammen. Dazwischen klemmt eine Pufferbatterie von 13,6 kWh. An der Wallbox ist der Akku nach gut vier Stunden voll, an der normalen Steckdose dauert es knapp fünf Stunden. Im E-Modus fährt der Explorer offiziell bis zu 42 Kilometer weit und kommt dabei auf bis zu 135 km/h. Im Benzinmodus ist bei 230 km/h Schluss.
Das werden wir nicht vergessen: Das flüsterleise Surren, mit dem sich der Explorer durch die Innenstadt bewegt und kaum wahrnehmbar ist. Dass so ein Dickschiff einen so dezenten Auftritt pflegt, ist am Explorer fast die spannendste Entdeckung.
July 03, 2020 at 10:18AM
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Autogramm Ford Explorer: Viel hilft viel - DER SPIEGEL
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